13.08.20 – Zukunft des Einkaufens
Die 3 Basics beim Einsatz von Multisensorik am POS
Seitdem Neuromarketing in aller Munde ist, stellt sich oft gerade der kleinere Händler die Frage, welche Chancen sich für ihn daraus ergeben. Unser Gastautor Frank Rehme hat für Sie zahlreiche Empfehlungen parat.
Um zu verstehen, wie Multisensorik gut funktioniert, betritt man am Besten eine Kirche. Die Religion hat sehr früh erkannt, dass man nicht nur durch alleiniges Vermitteln von Glaubenssätzen Menschen für die Inhalte begeistern kann. Dort kann man die Ansprache der Sinne ganz besonders gut erfahren. Sobald man die heiligen Hallen betritt, stellt man fest, wie klitzeklein man im Gegensatz zum meterhohen Mittelschiff ist. Damit sind die Relationen klargestellt, jetzt geht es weiter: Der Weihrauchduft erledigt den Job der Olfaktorik, die 140-Pfeifen-Orgel die Akustik und die bleiverglasten Fenster die Optik. Das ist Multisensorik pur, einfach gut gemacht! Jetzt geht es darum, diese Erkenntnisse in den Store zu übertragen.
Schritt 1: Olfaktorik oder Beduftung
Diesen Punkt haben wir bewusst auf Platz 1 gesetzt. In vielen Store Checks fällt uns immer wieder auf, dass ein unangenehmer Geruch vorherrscht. Ob Chemiegeruch im Kleidungsdiscounter oder Modergeruch am Pfandautomaten beim Lebensmittler: Oft nehmen die Mitarbeiter den Geruch nicht mehr wahr. Auch der Kunde scheint sich nicht groß daran zu stören ... glaubt man! Sein Unterbewusstsein registriert den Geruch sehr wohl, denn dieser Sinn ist der einzige, der sofort auf das sogenannte limbische System im Gehirn wirkt. Dort entstehen die Emotionen, die unmittelbar die Kaufentscheidung beeinflussen. Ein Grundsatz ist wichtig zu verstehen: Man kann sich der Situation nicht entziehen! Jetzt nützt es aber nichts, in diesen Stores einfach eine Raumbeduftung zu installieren – dann riecht es am Pfandautomaten eben nach vermodertem Lavendel. Unser Tipp aus langer Erfahrung: Erst einmal „entstinken“, das reicht in den meisten Fällen schon aus.
Es muss also nicht immer der gesamte Lösungskoffer aufgemacht werden, um Kaufentscheidungen positiv zu beeinflussen. Beispiel: In einer isländischen Lebensmittelfiliale wurde uns ein Store vorgestellt, dessen Backwaren aus unerklärlichen Gründen nicht liefen. Als wir vor dem Regal standen, war es vollkommen klar: Die Augen sehen Brot, die Nase riecht ... Waschmittel (das stand nämlich im Regal hinter uns)! Damit ist die Sinneskongruenz gestört, das Gehirn signalisiert „nicht kaufen“. Einfaches Umräumen und Tausch gegen entsprechende Komplementärprodukte reichte dort schon aus.
Will man dann mehr, sollte man auf folgende Punkte achten: Achten Sie auf einen erfahrenen Beduftungs-Partner, der mit einem entsprechenden Netzwerk an Parfumeuren den für Sie richtigen Duft herausfindet. Geruch existiert immer, sorgen Sie dafür, dass er nicht zufällig entsteht! Falls Sie geruchsblind für den eigenen Laden sind: Fragen Sie Bekannte und Freunde, Ihnen ein Feedback zu geben. Verstehen Sie die Luftbewegung in Ihrem Store! Visualisieren Sie diesen mit Rauchkerzen, um zu sehen, wie die Luftbewegungen verlaufen. Es nützt nichts, eine Beduftung zu installieren, die aufgrund von ungünstigen Luftströmungen nicht bei den Nasen ankommt. Wählen Sie einen kontextabhängigen Duft: keinen Lavendelduft in der Obstabteilung, besser Zitrus! Und zu guter Letzt: Weniger ist mehr! Eine zu intensive Beduftung irritiert, ist aufdringlich und erreicht genau das Gegenteil.
Schritt 2: Beschallung
Ein besonders heißes Thema: Nirgendwo sind die Geschmäcker verschiedener als beim Musikgeschmack. Ebenso gibt es bei dem Verständnis, was eine ideale Store-Akustik ausmacht, auch viele kulturelle Unterschiede. Der Europäer findet den Beat der amerikanischen Fashion-Läden sehr stressig, umgekehrt finden die Amerikaner unsere chillige Musik eher einschläfernd. Unter dem Strich muss man seine Zielgruppe schon gut kennen, um genau den richtigen Ton zu treffen. Hier kommen nun unsere Tipps für eine ausgewogene Beschallung: Denken Sie zuerst an die Rechteinhaber: Die Gema gibt gern Auskunft, was zu welchem Preis im Store geht. Es gibt aber auch Partner, die komplett mit gemafreien Inhalten arbeiten. Streamen Sie die Musik, das erspart große Infrastrukturkosten. Heute gibt es Lautsprecher in allen Formen, die über Funktechnologie die richtigen Inhalte verteilen. Auch hier ist der Kontext wichtig: Welche Geschwindigkeit, also die Beats per Minute (BPM), passen zu meinem Sortiment? Muss es Musik sein oder reicht eine akustische Raummaskierung z. B. mit Naturtönen aus? Oder ist es sogar besser, komplett auf Akustik zu verzichten?
Schritt 3: Visualisierung
Die optische Shopperführung ist ganz besonders hervorzuheben. Hier hat sich in der Vergangenheit auch vieles getan. Hat man früher im Bereich Customer Guidance noch viel mit Schrift gemacht, herrscht heute selbst beim Discounter die Bildsprache. Ebenso ist im Bereich der digitalen Kundenansprache viel erkannt worden: Keine oder wenig Bildschirme, auf denen Werbung ausgestrahlt wird. Bildschirme sind heute oft ein Element des Ladenbaus, um das Grundambiente des Stores positiv zu beeinflussen. Denken Sie immer daran: Menschen sind visuelle Wesen.
Was gibt es sonst noch?
Den Geschmacksinn natürlich: Lassen Sie den Kunden probieren, so oft er kann. Fast alles, was probiert wird, wird auch gekauft, Das wissen die Winzer schon ewig, ebenso die Propagandisten im LEH. Aber noch etwas fehlt: der Tastsinn! Ob beim Obstkauf oder in der Boutique, wir setzen ihn ein! Selbst beim Autokauf fasst „Mann“ gern an den Schaltknauf und streicht über das Connolly-Leder bezogene Armaturenbrett. Durch Multisensorik hat der stationäre Handel einen Vorteil, den kein Online-Shop der Welt erfüllt: Menschen ganzheitlich zu aktivieren. Diese Chance darf man sich nicht entgehen lassen, es bleibt weiter spannend!