16.05.14 – Designgeschichten
Jonas Distel und das Cedon-Lineal
Wie das Hilfsmittel des Exakten lebensfroh, humorvoll und vergnügt interpretiert wird, verrät unsere Designgeschichte.
Das Lineal kann nichts dafür, dass bei seinem Anblick Erinnerungen an Kreidestaub und Mathestunden, die sich wie Kaugummi zogen, hochkommen. Mit den bunten Linienziehern von Cedon dürfte sich das geändert haben. Die Ehrenrettung des Schreibtisch-Utensils begann, als das Münchner Unternehmen Ideen für eine Sortimentserweiterung suchte.
Schöneres Accessoire
Welche Alltagsgegenstände, die man im Büro oder auf dem Schreibtisch tagtäglich nutzt, eignen sich, um daraus ein «schöneres» Accessoire zu machen? Das langweilige, durch die Natur seiner Funktion bedingt geradlinige Lineal war die Antwort auf diese Frage. «Das Hilfsmittel des Exakten, des Bürokraten, wird lebensfroh, humorvoll und vergnügt interpretiert», erklärt der mit der Umsetzung beauftragte Designer Jonas Distel seine Herangehensweise.
Haben Tiere Geraden?
In seiner Arbeit hatte er sich schon lange mit Silhouetten und Scherenschnitten beschäftigt. Für den auf den ersten Blick zweidimensionalen Gegenstand Lineal waren sie ideal. Gut drei Monate probierte er Formen für das Material Acryl aus. Das stand von Anfang an wegen seiner Farbbrillanz und seiner Wertigkeit fest. Daraus entstanden im Januar 2012 die ersten drei Modelle Messer, Knochen und Flugzeug. Es folgten der Revolver und die ersten Tiermotive Dackel und Giraffe. Die besondere Herausforderung bestand bei letzteren darin, eine lange Linie für die Skala zu finden — Tiere haben schließlich keine Geraden.
«Es ist die Kunst, eine gerade Seite zu schaffen, die nicht unangenehm auffällt, die verständlich ist, ohne dass man nachdenken muss», sagt Distel. Dackel und Giraffe kamen sehr gut an, vor allem in der kürzeren, der 20 cm langen Variante. Zunächst waren alle Motive in 30 cm Länge entwickelt worden, aber schnell stellte sich heraus, dass die 20 cm-Version kommerziell erfolgreicher ist, weil sie weniger Platz braucht.
Surrealistisches Objekt
«Unser Lineal ist ein surrealistisches Objekt, es hat ein bisschen was von Magritte», sagt Distel, «die Form aus einem anderen Zusammenhang taucht in einem neuen Zusammenhang auf.» Wer sich seine Lineale ansieht, denkt an Zoobesuche und Fernreisen, vielleicht noch an Racheakte, die ganz gewaltfrei mit Revolver oder Messer an ungeliebten Lehrern verübt werden, aber sicher nicht an staubige Langeweile.